10 July 2019 – Interview

«Die Nähe zum Autor gibt mir seelische Kraft fürs Übersetzen»

Der Schweizer Autor Klaus Merz (rechts) und sein Übersetzer ins Persische, Abbas Salehi, beim Arbeitsgespräch im Übersetzerhaus Looren.
Der Schweizer Autor Klaus Merz (rechts) und sein Übersetzer ins Persische, Abbas Salehi, beim Arbeitsgespräch im Übersetzerhaus Looren.

Abbas Salehi (39), Literaturübersetzer aus Isfahan, hat diesen Sommer im Übersetzerhaus Looren Jakob schläft von Klaus Merz ins Persische übertragen. Im Gespräch erzählt Salehi, wo die Herausforderungen beim Übersetzen dieser beklemmend schönen Familiengeschichte aus der Schweiz der Nachkriegszeit liegen – und was ihm das persönliche Treffen mit dem Autor bedeutet.

Abbas Salehi, wie haben Sie den Schweizer Autor Klaus Merz entdeckt?

2017 war ich bei Schweizer Freunden in Luzern zu Besuch. Ich hatte sie im Iran kennengelernt, wo ich auch als Kultur- und Reiseführer arbeite. In ihrer Bibliothek stiess ich auf Jakob schläft und tauchte in diese Schweizer Familiengeschichte der 50er-Jahre ein. Am Seetaler Poesiesommer trug ich persische Gedichte vor, von denen ich einige ins Deutsche übersetzt hatte. Der Organisator half mir, Kontakt zu Klaus Merz zu knüpfen. Als ich ihm am Telefon sagte, dass ich seine Werke gerne übersetzen möchte, hat er mir freundlicherweise seine Trilogie samt Sekundärliteratur geschickt. Durch Klaus Merz erfuhr ich dann vom Übersetzerhaus Looren. Ohne meinen Arbeitsaufenthalt hier hätte ich Jakob schläft wohl anders übersetzt… 

Was hätten Sie denn anders übersetzt? 

An einer Stelle in dieser Erzählung ist zum Beispiel von «Glocken der Heimat» die Rede. Das ist nicht etwa der Titel eines Schweizer Volksliedes, wie man denken könnte, sondern bezieht sich auf eine gleichnamige Sendung bei Radio Beromünster, in welcher damals jeden Samstag um 18 Uhr das Glockengeläut einer Schweizer Gemeinde zu hören war. Wie kann ein Übersetzer das wissen?!! (lacht) Der Autor Klaus Merz hat es mir bei unserem Arbeitstreffen in Looren erzählt…

Jakob schläft erzählt in poetischer Sprache die glück- und leidvolle Geschichte einer Schweizer Familie der Nachkriegszeit. Das liegt kulturell und zeitlich ziemlich weit weg von der heutigen Lebenswelt des iranischen Lesepublikums. Wie gehen Sie als Übersetzer damit um?

Ja, der Übersetzer ist hier mit einer reichen, poetischen Erzählwelt und einem kulturellen Kontext der Schweiz der 50er- und 60er-Jahre konfrontiert. Schon am Anfang der Erzählung stösst man auf einen gesellschaftlichen Sachverhalt, der für iranische Lesende nicht unbedingt klar ist. Es heisst da: «Das Hochzeitsbild des jungen Paares, auf dem die Schwangerschaft als Schatten im Gesicht der Braut schon ablesbar gewesen sein muss, hat nie auf unserem Stubenbuffet gestanden.» Mit den Worten «Schatten im Gesicht» ist ein kulturelles Phänomen konnotiert, dass nämlich die Schwangerschaft vor der Heirat, die heute in der Schweiz nichts Besonderes ist, in jenen Zeiten nicht akzeptiert war. Die wörtliche persische Übersetzung von «Schatten im Gesicht» gibt diese Konnotation nicht unbedingt wieder. Ich habe auf diesen Umstand in einer Fussnote hingewiesen.

Eine andere Besonderheit ist die Übersetzung der europäischen Monatsnamen ins Persische. Hier habe ich nicht die Monatsnamen des persischen Sonnenjahrkalenders als Äquivalent gewählt, sondern die bei uns auch gebräuchlichen französischen oder englischen Transkriptionen, damit der geografische und klimatische Unterschied klar wird. Für den persischen Leser macht die folgende Textstelle nur mit der Verwendung des europäischen Monatsnamens Sinn: «Während einer stürmischen Nacht im April, Bäche traten über ihre Ufer, ganze Häuser wurden abgedeckt…» Während das Wetter im April in der Schweiz wechselhaft ist, herrscht in Persien im Frühlingsmonat Farwardin angenehmes, stabiles Wetter.

Klaus Merz verwendet eine bildhafte, poetische Sprache. Ist das für die Übersetzung eine Herausforderung?

Die poetischen Bilder sind bei Klaus Merz von grosser Bedeutung. In der Übersetzung muss man diese manchmal ergänzen oder erklären, damit das für die persische Leserschaft verständlich wird. Zum Beispiel heisst es an einer Stelle: «Sonne stand im finsteren Chor und schaute hilflos aus seiner Karre heraus, ich selber kniete bleich neben dem Vater und ministrierte (…) so gut es ging.» «Sonne» ist der Name des jüngeren, kranken Bruders des Erzählers, er hat einen Wasserkopf. Das Wort «Chor» hat ja mehrere Bedeutungen. Ich habe es in der Übersetzung zu «Chor der Kirche» ergänzt, um klar zu machen, dass es um den Altarraum geht. Das Verb «ministrieren»und der dazugehörige Akt sind dem persischen Publikum fremd, deshalb habe ich es in der Übersetzung mit erklärenden Zusätzen umschrieben.

Wie vertraut ist denn das iranische Lesepublikum mit der Schweizer Literatur?

Gebildete Leute, die übersetzte Literatur lesen, kennen die klassischen Schweizer Autoren wie zum Beispiel Conrad Ferdinand Meyer, dessen Novelle Der Heilige vom iranischen Meisterübersetzer Mahmud Haddadi übertragen worden ist. Bekannt ist auch Gottfried Kellers Leute von Seldwyla, übersetzt von Ali Abdollahi. Von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern der Gegenwart sind beispielsweise Ilma Rakusa, Peter Stamm und Friederike Kretzen ins Persische übertragen. Und auch renommierte Schweizer Autoren wie Peter Bichsel, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch sind im Iran einer grösseren Leserschaft bekannt. 

Richtet sich Ihre Übersetzung von Jakob schläft also an ein vorwiegend gebildetes Publikum?

Nicht nur, Jakob schläft ist auch für Leute, die einfach gerne lesen. Im Iran gibt es in allen Bildungsschichten Menschen, die gut und viel lesen. Meine Mutter zum Beispiel ist, obwohl sie die Schule nur bis zur fünften Klasse besucht hat, eine sehr engagierte Leserin und findet rasch eine Beziehung zur Literatur – auch zu Übersetzungen aus deutschsprachigen Ländern. Ich gebe ihr jeweils meine Übersetzungen zur Lektüre, damit sie mir eine Rückmeldung gibt. Dann weiss ich, ob ich für ein allgemein interessiertes Publikum verständlich und flüssig übersetzt habe! (lacht) Es ist wichtig für mich, dass meine Übersetzungen vor der Publikation auch von anderen Augen gesehen werden.

In Jakob schläft finden sich einige Bezeichnungen, die im heutigen Deutsch nicht mehr gebräuchlich sind und auch einige Helvetismen. Wie übertragen Sie diese ins Persische?

Für die Übersetzung von Wörtern wie zum Beispiel «Koben», also Schweinestall, oder «Kontor» verwende ich auch im Persischen ein archaisches Äquivalent, weil diese Wörter einem älteren stilistischen Sprachregister angehören. Helvetismen wie «Batzen, «Bätzler» oder «Fünfliber», also die teils veralteten, dialektalen Bezeichnungen für Schweizer Geldstücke, müssen in der Übersetzung als schweizerisch gekennzeichnet werden. Das habe ich mit einer kurzen Fussnote gemacht. Dass «Bätzler» früher ein 10-Rappen-Stück bezeichnete, habe ich erst hier in Looren erfahren…  

Sie haben Klaus Merz im Übersetzerhaus Looren erstmals zu einem Werkstattgespräch getroffen…

Ich habe es sehr geschätzt, dass mich Klaus Merz für ein Treffen im Übersetzerhaus Looren besucht hat. Dass man als Übersetzer in einen persönlichen Kontakt mit dem Autor treten kann, ist nicht selbstverständlich und für die Übersetzung sehr hilfreich. Klaus Merz war sehr offen und freundlich. Ich fand auf Anhieb einen guten Zugang zu ihm, was mir auch ein besseres Verständnis des Textes vermittelte. Die Nähe und Herzenswärme, die ich für den Autor empfinde, gibt mir auch seelische Kraft fürs Übersetzen. 

Kurzbiografie:

Abbas Ali Salehi Kahrizsangi ist freischaffender Übersetzer und lebt in Isfahan, Iran. Er hat im Iran Deutsche Sprache mit Schwerpunkt Übersetzungswissenschaft studiert, im Fach Didaktik der deutschen Sprache promoviert und sechs Jahre als Uni-Gastdozent im Iran Übersetzung unterrichtet. Salehi war zweimal Stipendiat beim Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD. Er hat Kurzprosa von Georg Trakl und Anekdoten von Heinrich von Kleist (im Rahmen seiner Doktorarbeit) in persischer Übersetzung publiziert. Im Übersetzerhaus Looren hat er an der Übertragung der Trilogie von Klaus Merz gearbeitet (Jakob schläft, Der Argentinier, LOS).

Interview und Fotos: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren

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