23 October 2018 – Interview

Sowas wie Erasmus für Erwachsene

Sieben Fragen an Viktoria von Schirach, Übersetzerin, Literaturagentin und Scout zwischen Rom und München.

Du arbeitest auf vielfältige Weise mit Literatur: als Literaturagentin, Scout, Verlegerin und als Übersetzerin. Was bedeutet dir in all den Tätigkeiten das Übersetzen? 

Übersetzen ist für mich Erholung, denn es erfordert volle Konzentration auf einen Text. Da man als Scout vor allem schnell sein muss, mit dem Lesen, aber auch mit dem Urteil, geniesse ich es regelrecht, mich mit einem Text auseinandersetzen zu dürfen, statt ihn nur «einzuschätzen». Ähnliche Freude bedeutet mir das Redigieren von Übersetzungen.

Was übersetzt du gerade? Und was ist das Besondere daran?

Da ich vor der Buchmesse nicht viel Zeit habe, übersetze ich im Moment nur ein Gedicht des genialen Filmemachers Roberto Benigni über Claudio Abbado für das Magazin der Berliner Philharmoniker. Ich liebe Lyrik, habe mich in die italienische Sprache vor allem wegen der Gedichte Montales verliebt, habe aber selten Gelegenheit, mich dieser Gattung zu widmen.

Welches Buch möchtest du unbedingt noch übersetzen? Und weshalb?

Es gibt einen grossen sardischen Roman, der nie ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl er zu den modernen Klassikern gehört, den ich gern übersetzen würde: Giuseppe Dessìs Paese d´ombre. Und einen wunderbaren Roman von Lidia Ravera über die Liebe im Alter, Il terzo tempo, bei dem mir jeder Satz zitierbar scheint. Aber das Thema wird von Verlagen offensichtlich nicht so gern aufgegriffen, vielleicht weil manche Leute glauben, ältere Protagonisten seien nicht attraktiv genug. Wenn ich einen eigenen Verlag hätte, würde ich dieses Buch sofort übersetzen, denn es ist intelligent und witzig und bestimmt für viele Leser ein Gewinn.

Wie ich gelesen habe, vermittelst du deutsche Krimis an einen italienischen Verlag, der eine Reihe «Gialli tedeschi» herausgibt. Was ist das Besondere an dieser Reihe? Ist Deutschland in Italien als Krimi-Nation bekannt?

Ich bin die Herausgeberin dieser Reihe, die wir ganz offensiv «Gialli tedeschi» genannt haben. Es gibt im deutschen Sprachraum eine beeindruckende Vielfalt von Spielarten dieses Genres, das auch den Noir und den Spannungsroman umfasst. Ich bin sehr glücklich, Autoren wie Friedrich Ani oder Simone Buchholz nach Italien gebracht zu haben, und denke, dass innerhalb dieses Genres sehr interessante literarische Experimente gemacht werden, auch und gerade im deutschen Sprachraum. Bei meiner italienischen Reihe kommt mir meine Erfahrung als Übersetzerin bei der Vergabe von Übersetzungen sehr gelegen, denn ich verstehe die Bedürfnisse der Übersetzer sehr gut und kann die Zusammenarbeit leicht koordinieren.

Wie gehst du vor, wenn du ein deutsches Buch an einen italienischen Verlag bringen willst und umgekehrt? 

Für meine Krimireihe suche ich ganz gezielt nach Büchern, die etwas Besonderes sind, die den Kriterien entsprechen, auf die wir uns geeinigt haben. Was andere deutsche Literatur betrifft, so gebe ich manchmal freundschaftliche Ratschläge an italienische Verlage, wenn mich ein deutsches Buch sehr begeistert, z.B. im Fall von Natascha Wodins Sie kam aus Mariupol. Leider werden sie selten befolgt. Umgekehrt arbeite ich als Scout für meine Verlagsgruppe und habe dort meine Ansprechpartner – Lektoren und Programmleiter, auch die Verlegerin, die dankbar für meine Vorauswahl und meine Einschätzung sind. Die Entscheidungen treffen sie dann allerdings ohne mich.

Wie gehst du als Scout vor, und wo hast du schon Trouvaillen aufgespürt?

Ich arbeite eng mit den Agenten und den Rechteabteilungen der italienischen Verlage zusammen, dadurch bekomme ich die Bücher schon sehr früh, meist in Manuskriptform. Aber natürlich lese ich auch die Literaturbeilagen und gehe zu Festivals und Messen. Gerade bei den kleineren Messen, etwa der in Rom Anfang Dezember, kann man noch echte Entdeckungen machen, denn dort stehen die Verleger (oft sogar die Autoren) hinter den Ständen und manchmal erhält man dort wertvolle Hinweise auf Bücher, die kein Medienecho bekommen, weil ihre Verlage zu klein oder zu wenig aktiv sind.

Welches war deine bemerkenswerteste Begegnung im Übersetzerhaus Looren? 

Das ist wirklich schwer zu sagen. Als ich meiner Tochter von Looren erzählte, meinte sie: «Ach, sowas wie Erasmus für Erwachsene.» Das trifft es meiner Meinung nach ziemlich gut: Die Mischung aus konzentriertem Arbeiten unter optimalen Bedingungen und der Begegnung mit Kollegen, die nach der Arbeit Lust haben, sich beim Einkaufen, Kochen und Essen über ihre Arbeit und über Sprache auszutauschen, war ein grossartiges Erlebnis. Am besten hat mir das Spielen abends nach dem Essen gefallen, bei dem erst mühsam eine gemeinsame Sprache gefunden werden musste – am besten fand ich die Pantomime.

Kurzbiografie:

Ich habe während meiner beruflichen Laufbahn so gut wie alle Seiten der Verlagsarbeit kennengelernt: Noch während meines Romanistikstudiums habe ich eine Ausbildung zur Literaturagentin gemacht, danach als Lektorin an der Universität Neapel Deutsch und speziell Übersetzung unterrichtet. Nebenbei habe ich eine Anthologie der italienischen Literatur der Gegenwart herausgegeben und angefangen, ernsthaft zu übersetzen. Später war ich Lektorin und mittlerweile arbeite ich vor allem als Scout und als Programmleiterin. Ach ja, und dann habe ich noch einen Hörbuchverlag in Italien gegründet ...

Land: Deutschland
Ausgangssprachen: Italienisch, Englisch
Zielsprachen: Deutsch
Übersetzungen (Auswahl): Ca.25 literarische Werke von Gianrico Carofiglio, Guido Ceronetti, Claudio Magris, Dacia Maraini, Lorenza Mazzetti, Margaret Mazzantini, Anna Maria Ortese, Goffredo Parise u.v.a.
Zuletzt (in Looren beendet): Erika Bianchi, Il contrario delle lucertole, (Giunti), für den Verlag btb (Random House).

Interview und Fotos: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren

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