16 May 2023 – Interview

Vom Übersetzen unbequemer Wörter

ViceVersa-Werkstatt Englisch und Deutsch im Oktober 2022 im Übersetzerhaus Looren.
ViceVersa-Werkstatt Englisch und Deutsch im Oktober 2022 im Übersetzerhaus Looren.

Wie übersetzt man rassistische, diskriminierende oder verletzende Wörter in literarischen Texten? Diese Frage steht aktuell im Fokus vieler Diskussionen. Auch im vergangenen ViceVersa-Workshop Englisch und Deutsch im Übersetzerhaus Looren diskutierten die Teilnehmenden anhand eigener Projekte darüber. Miriam Mandelkow, Co-Leiterin der Werkstatt, hat sich als Übersetzerin des US-amerikanischen Autors James Baldwin intensiv mit der Frage auseinandergesetzt.

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Miriam, in der ViceVersa-Werkstatt habt ihr der Frage, wie rassistische oder diskriminierende Wörter übersetzt werden können, eine längere Diskussion gewidmet. Eine Teilnehmerin brachte als Übersetzungsprojekt die deutsche Erzählung Todtenweis von Georg Klein mit, die sie ins Englische überträgt. Darin kommt das Wort «Hottentottenficker» vor. – Ich benenne das Wort hier, damit klar ist, wovon wir sprechen. – Welche Fragen habt ihr dazu besprochen?

Georg Kleins ­Erzählband Von den Deutschen ist vor 20 Jahren erschienen, was zunächst die Frage aufgeworfen hat, ob wir mit «älteren» Texten anders umgehen als mit Werken, die beispielsweise die aktuellen Debatten um rassistische Sprache mit reflektieren. Ob der Autor den Text heute noch so schreiben würde, ist eine interessante und zugleich müssige Überlegung, weil die Übersetzerin sich zu dieser Vorlage verhalten muss. Und da geht es immer um die Frage: Was soll das Wort da? Wer spricht? Handelt es sich um Figurenrede? Welche Haltungen und Weltanschauungen werden charakterisiert? Werden sie kritisiert? Das ist bei Klein nie eindeutig, in seinen Erzählungen gibt es keine verlässlichen Positionen, seine Geschichten sind doppelbödig, sie verwirren, sie irritieren, sind oft dämonisch und rätselhaft. Damit geht der Autor natürlich auch das Risiko ein, mit diesen Wörtern identifiziert zu werden. Das alles muss ich als Übersetzerin bedenken, um entscheiden zu können, wie ich mit dem Wort umgehe. Dazu gab es in der Gruppe unterschiedliche Haltungen, aber keine dogmatischen Antworten. Wir haben eher Türen aufgemacht und noch mehr Fragen gestellt.

Welche möglichen Lösungen habt ihr für das obige Schimpfwort in der Werkstatt diskutiert?

Ich mag ja das Wort «Lösungen» im Zusammenhang mit dem Übersetzen gar nicht – das klingt immer so, als würde irgendwo die richtige Antwort lauern, die wir nur aufspüren müssen. Wir treffen Entscheidungen. Ein Vorschlag war, das Wort kursiv auf Deutsch stehen zu lassen. Dafür spricht, dass es eine sehr deutsche Wortschöpfung ist und die Erzählung ja von den Abgründen des Deutschen handelt. Dagegen spricht, dass im Englischen das Wort niemand versteht und dass es keine Assoziationen weckt – dass dann ein krasses Wort gewissermassen nutzlos im Buch rumsteht, weil es keine Erkenntnis, keine Selbsterkenntnis, kein Erschrecken auslöst. Mit Sonderzeichen wie zum Beispiel Sternchen kommen wir hier nicht weiter, denn das codierte Wort muss man kennen, um es zu erkennen. Ein weiterer Vorschlag war, den Begriff wegzulassen, wobei «Weglassen» ja auch nur der Auftakt zu einer Entscheidung ist: Wie würde man die Sätze um diese Leerstelle herum bauen, wie gestaltet man den Kontext? Möglicherweise gelingt ein ähnlich bedrohliches Sprachgebilde, wird eine ähnlich dämonische Stimmung erzeugt. Es ist ein Abwägen ­– in jedem Einzelfall, jedem Buch, jedem Text, jeder Textstelle. Und am Ende gibt es nur eine Person, die so drinsteckt in dem Text, dass sie ihn auch gestalten kann, und das ist die Übersetzerin.

Überhaupt scheint mir die Fixierung auf einzelne Wörter sehr kurz gegriffen. Stimme, Syntax, Rhythmus, um nur ganz wenige Elemente zu nennen, die als Gesamtpaket zu Übersetzungsentscheidungen führen, werden bei der Diskussion oft ausser Acht gelassen, weil nur über Begriffe geredet wird. Aber Wörter wollen nicht immer dasselbe. Manchmal wollen sie verletzen, manchmal Verletzungen aufzeigen.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es bei der Übersetzung von diskriminierenden Wörtern?

Wir können in Vor- oder Nachworten, je nach Textgenre in Fussnoten oder Kommentaren, unsere übersetzerischen Entscheidungen transparent machen, unsere Dilemmata offenlegen. Die meisten Verlage bieten inzwischen den Raum dafür. Triggerwarnungen hingegen finde ich problematisch. Sie nehmen für sich Anspruch, genau zu wissen, was andere verletzt und was nicht.

Anhand eines Essays von Hermann Hesse stellte sich in der Werkstattdiskussion die Frage, wie eine heutige Übersetzerin mit kolonialistischen Sichtweisen umgeht, die zu Lebzeiten des Autors gang und gäbe waren, zum Beispiel mit der Idee des «edlen Wilden».

Wir haben in der Gruppe diskutiert, ob wir aus ideologischen Gründen einen Übersetzungsauftrag ablehnen würden. Und ob wir z.B. die politische Haltung unserer Autoren teilen müssen. Vielleicht wollen wir ja Menschen gerade den Zugang zu Geisteshaltungen ermöglichen, ohne die unsere Welt nicht zu verstehen ist? Es kann jedenfalls nicht unsere Aufgabe sein, den Autor vor sich selbst zu schützen. Auch Leserinnen schützen wir nicht, wenn wir einen Hesse präsentieren, der nicht zutiefst geprägt war vom Überlegenheitsgefühl des Europäers. Niemand behauptet, dass Literatur nicht hässlich, schmutzig, eklig und böse sein und nicht weh tun darf. Wobei auch nicht jedes Gedankengut veröffentlicht und übersetzt werden muss – das ist oft eine Gratwanderung.

Was ist die Rolle, die Aufgabe der Übersetzerin?

Ich stehe immer vor der Frage: Wem bin ich verpflichtet? Der Autorin? Dem Text? Der Leserin? Der Sprache? Spontan würde ich sagen: dem Text. Aber gibt es «den» Text, und wie nah komme ich ihm, spielt meine Identität für die Übersetzung eine Rolle? Diese Fragen werden heute vermehrt gestellt, und das finde ich gut, solange sie nicht beantwortet werden … (lacht) Was ich damit meine: Darüber zu reden, finde ich wichtig, mich selbst in meiner Beziehung zum Text in Frage zu stellen und das Gespräch mit Menschen zu suchen, die ihn möglicherweise anders lesen als ich.

Du hast in den letzten Jahren Romane und Essays von James Baldwin aus dem amerikanischen Englisch neu ins Deutsche übertragen. Seine Arbeiten thematisieren den Rassismus in den USA gegenüber Schwarzen. Entsprechend taucht rassistisches Vokabular auf. Was waren hier die Herausforderungen bei der Übersetzung? Und was hast du anders übertragen als deine Vorgänger in den ersten deutschen Ausgaben aus den sechziger und siebziger Jahren?

Mit dem N-Wort, dem rassistischen Schimpfwort, das ja auf Englisch in gleicher Bedeutung auch Eingang gefunden hat in den deutschen Wortschatz, bin ich ähnlich verfahren wie die Erstübersetzer. In seinen Essays und Romanen – dort zumeist in Figurenrede – zeigt Baldwin die Gewalt des N-Worts auf, inszeniert sie, thematisiert sie, prangert sie an; ich habe mich in vielen Fällen dafür entschieden, das englische Wort auch in die deutschen Texte hineinzunehmen – die Gewalt zu «reproduzieren», würden wiederum manche sagen. Über die Beweggründe haben wir ja schon gesprochen.

Und wie hast du das Wort «Negro» übersetzt?

Hier stellen sich andere Fragen: Wie wurde das Wort in den fünfziger und sechziger Jahren in den USA benutzt, welche Funktion hat es bei Baldwin, und gibt es überhaupt eine Entsprechung im Deutschen? Das ist sehr vielschichtig, aber ein entscheidender Aspekt ist: Bei Baldwin ist es Fremd- und Selbstbezeichnung zugleich. Da schwingt durchaus Polemik mit, und es hat einen gewissen Zitatcharakter, weil den Schwarzen Menschen in den USA die Bezeichnung «Negro» und damit eine bestimmte Identität zugewiesen wurde. Es schwingt aber noch viel mehr mit, Widerständigkeit, Selbstbewusstsein, amerikanische Geschichte. An einer Stelle schreibt Baldwin, nur in den USA und nirgendwo sonst auf der Welt gebe es «Negroes». Spätestens da wird deutlich, dass wir mit dem deutschen N-Wort nicht weiterkommen, weil statt des amerikanischen ein deutscher Kontext aufgerufen wird und eine andere Rassismus-Geschichte – zu der gehört, dass das deutsche N-Wort im Grunde immer eine Fremdbezeichnung war. Die beiden Wörter wurden aber hierzulande bis in die 80er Jahre hinein als Entsprechungen gelesen und benutzt, so auch in den Baldwin-Erstübersetzungen.
Ich habe «Negro» mit «Schwarz» übersetzt – im Bewusstsein der Bedeutungsverluste, die das mit sich bringt; inzwischen lassen Übersetzerinnen es auch öfter im Original stehen, um den amerikanischen Kontext aufzurufen. Das kann funktionieren, kann aber auch eine zusätzliche Fremdheit hineinbringen. Jede Entscheidung hat ihre Vor- und Nachteile.

Weshalb hast du dich für «Schwarz» entschieden?

Weil «black» - zunächst klein, später gross geschrieben - die zweite häufig verwendete Selbstbezeichnung bei Baldwin ist. Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre hat «black» «Negro» abgelöst, andere Bezeichnungen wie «African American», «Afro-American» oder «People of Color» kamen erst später auf bzw. teils wieder auf – die Begriffsgeschichten sind komplex.

An einer öffentlichen Veranstaltung im Literarischen Colloquium in Berlin im Jahr 2019 verlangte eine Zuschauerin, dass du auch in der Meta-Diskussion nur den Begriff «N-Wort» benutzt, statt das deutsche Wort auszusprechen. Was hat diese Rückmeldung bei dir bewirkt?

Zunächst mal hat es mir gezeigt, dass die klare Trennung, die ich bis dahin vorgenommen hatte, in Benennung und metasprachliche Verwendung, längst nicht mehr so selbstverständlich war, wie ich angenommen hatte. Interessanterweise hakten die Zuhörerinnen in dem Moment ein, in dem ich erklärte, weshalb das deutsche N-Wort in meinen Baldwin-Übersetzungen nicht vorkommt. Ich habe mir die Ermahnung sehr zu Herzen genommen. 
In Situationen wie der Werkstattdiskussion vertraue ich auf Absprachen: Wir haben uns dort schnell darauf geeinigt, die Wörter nicht auszusprechen. Nicht wenige betrachten das als Einknicken vor «Political Correctness» oder «Wokeness» – warum müssen die Diskussionen so polemisch geführt werden? Es ist nicht an mir, über Verletzungen und Schmerzgrenzen anderer Menschen zu entscheiden. Zugleich kann man die Codierung des Begriffs auch problematisch finden. Ich sehe die Gefahr einer Dämonisierung einerseits und der Fetischisierung andererseits – je nach Kontext und Sprechersituation, oder anders gesagt: Ich halte es für möglich, dem N-Wort durch Enttabuisierung die Macht zu nehmen und jenen, die es als Waffe benutzen, diese stumpf zu machen. Ausserdem legen Wörter Zeugnis ab, auch davon, dass sie mal benutzt wurden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich ja auch die aktuelle Debatte um Wolfgang Koeppens Tauben im Gras.

Kannst du kurz schildern, woran sich der Streit entzündet hat?

Das Buch ist Abiturstoff in Baden-Württemberg, ein kurzer Roman, in dem das N-Wort gehäuft vorkommt – nebst antisemitischen Klischees, die in der Debatte allerdings kaum eine Rolle spielen. Eine Lehrerin startete eine Petition dagegen, aber das Kultusministerium hielt am Abiturstoff fest, worauf sich die Lehrerin beurlauben liess. Tauben im Gras vermittelt uns den Sprachgebrauch und die Geisteshaltung der frühen Fünfzigerjahre. Der Roman spielt mit Stimmen und Erzählperspektiven, mit Sprachkonventionen und -konstruktionen und macht sich durch seine Doppelbödigkeit, seine Ambivalenzen, durch die erlebte Rede, die uns oft im Unklaren lässt, wer denn nun hier eigentlich spricht oder denkt, auch anfechtbar: hochinteressant, eine Fundgrube für Textanalyse und die Auseinandersetzung mit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft; das spräche für seine Eignung als Abiturstoff. Das heisst doch aber nicht, dass die Forderung, sich der Gewalt bestimmter Wörter nicht aussetzen zu müssen, nicht ernstgenommen werden muss.

Wie würdest du entscheiden, wenn du müsstest?

Ich würde den Roman allen ans Herz legen, und ich würde niemanden zur Lektüre verpflichten. Das Buch muss nicht Abiturstoff sein.

Braucht es nicht gerade in der Ausbildung eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen wie dem Rassismus?

Ja, unbedingt, aber es gibt Alternativen, und ich verstehe nicht, wieso über die nicht gemeinsam nachgedacht wird.

Dennoch lässt mich diese Debatte an den oft zitierten Giftschrank verbotener Bücher denken. Man könnte mit Ingeborg Bachmann auch argumentieren: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Und Verletzlichkeiten wandeln sich ja auch im Laufe der Zeit.

Ja, die Wahrheit muss zugemutet werden, ich habe aber auch nicht das Gefühl, dass Menschen, die das N-Wort nicht hören oder lesen wollen, sich der Wahrheit des Rassismus verschliessen … Und zu behaupten, wie in der Debatte des Öfteren geschehen, Koeppen komme jetzt in den Giftschrank, ist eben auch so eine polemische Überspitzung, die eigentlich nur dazu dient, das Gespräch gar nicht erst führen zu müssen. Als Übersetzerinnen, nebenbei bemerkt, können wir mit Giftschränken nichts anfangen, weder für Bücher noch für Wörter, das hiesse, uns ausserhalb des literarischen Kontexts zu stellen. In den Debatten treffen ja häufig literarische und ausserliterarische Argumente aufeinander, und die auszuhandeln, ist eine interessante Aufgabe.

Auch «Sensitivity Reading» ist Teil der Debatte. Ist es Ausdruck von Respekt? Oder ein bedrohliches Zensur-Szenario?

Sensitivity Reading ist gerade bei Verlagen sehr gefragt. Und diese Dienstleistung polarisiert: Oft ist von Zensur die Rede, was Unsinn ist, eigentlich geht es um eine Hilfestellung beim Erkennen heikler Passagen oder Begrifflichkeiten. Aber was, wenn sie erkannt sind? Da fängt doch die Arbeit erst an. Es besteht die Gefahr, dass Verlage einfach nur ein Gütesiegel erhalten wollen: «moralisch geprüft». Ich möchte nicht, dass jemand ein Häkchen unter meinen Text macht oder mir Absolution erteilt. Ich möchte mich zu diesen Fragen mit anderen austauschen.

Es gibt in Deutschland Verlage, die von ihren Übersetzerinnen und Übersetzern eine sensitive Schreibweise verlangen. Was hältst du davon?

Wenn der Originaltext das vorgibt, finde ich es richtig. Schwierig wird es, wenn die Forderung nach, sagen wir, Gendern auf Texte angewandt wird, die das gar nicht verlangen – wobei diese Frage natürlich meist gar nicht so eindeutig zu beantworten ist. Aber auch hier: Wir müssen dem Text lauschen: Was will er? Und wie will ich ihn gestalten?


Miriam Mandelkow - Foto: Thomas Marek
Miriam Mandelkow - Foto: Thomas Marek

Miriam Mandelkow übersetzt seit 25 Jahren aus englischen Sprachen, zuletzt Samuel Selvon, Eimear McBride, NoViolet Bulawayo und Ta-Nehisi Coates. Für die Neuübersetzung der Werke von James Baldwin wurde sie 2020 mit dem Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Interview und Werkstatt-Foto: Janine Messerli

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