17 January 2018 – Guest contribution

Von der Kunst zum Brot

Warum Urheberinnen von Übersetzungen dieselben Tantiemen verdienen wie Urheberinnen von Originaltexten. Ein Vorschlag zur Verbesserung der Einkommenslage von Literaturübersetzerinnen.

Von Holger Fock     

Literaturübersetzen ist kein Handwerk, sondern eine Kunst, die wissenschaftliches Arbeiten umfasst. Außer Umblättern und Bedienen einer Tastatur benötigen Literaturübersetzer keine handwerklichen Fertigkeiten, sondern literarisches Wissen, Sprachkenntnisse, wissenschaftliche Fähigkeiten und, jawohl, künstlerisches, mimetisches Talent. Man mag Sprachkenntnisse, Recherche-Knowhow, den Umgang mit Computern, Internet, Lexika etc. metaphorisch als „Handwerkszeug“ bezeichnen (wie Pinsel, Leinwand und Farbe bei einem Maler), aber auch das macht Literaturübersetzer nicht zu Handwerkern.

Weit über die Nachbildung semantischer Inhalte hinaus geht es beim Literaturübersetzen vor allem um schöpferische Prozesse, denn es geht um die innere Architektur von Sätzen und Absätzen, um Symbolgehalte, um Sprachfiguren wie Allegorien, Metonymien, Metaphern, Ellipsen, Oxymora oder Pleonasmen, um Tonfall, Rhythmus, Klänge oder die Färbung von Vokalen, um Metrik, Reime, Alliterationen... Kurz, neben dem unabdingbaren literarischen und sprachlichen Wissen ist Einfallsreichtum entscheidend, und darum ist literarisches Übersetzen eine Kunst.

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung sind Literaturübersetzungen eigenständige Kunstwerke, deren Verhältnis zum Original dem einer Aufführung des Fausts zu Goethes Text oder der Einspielung eines Musikstücks zur Partitur des Komponisten entspricht. Deshalb genießen sie denselben urheberrechtlichen Schutz wie Originalwerke und sind diesen international durch die Berner Konvention und die Nairobi-Erklärung der Unesco gleichgestellt.

Da eine Literaturübersetzung also immer zwei Urheber hat, wäre es angemessen, wenn beide an den Tantiemen gleichermaßen beteiligt wären. Während bei den meisten Verwertungsgesellschaften in Europa die Anteile, die auf die Urheber entfallen, tatsächlich zwischen den Schöpfern des Originals und denen der Übersetzung 50 zu 50 geteilt werden, sieht es bei direkten Tantiemen anders aus: Autoren des Originals (bzw. deren Rechteinhaber) sind im Hauptrecht (je nach Staffelung) mit 6% bis 12% am Absatz und mit 50% bis 70% an den Lizenzeinnahmen beteiligt, die Autoren der Übersetzung bekommen meistens gar nichts oder nur eine geringfügige Beteiligung an Absatz- und Lizenzeinnahmen.   

Mehr Verteilungsgerechtigkeit bei den Tantiemen würde – zumindest in Ländern mit einer großen potentiellen Leserschaft – eine Verbesserung der schwachen Einkommen von Literaturübersetzern bringen. Nach dem Modell der Verwertungsgesellschaften bekämen die Autoren des Originals wie die der Übersetzung dann jeweils zwischen 4% und 6% des Umsatzes im Hauptrecht und zwischen 25% und 35% der Verlagserlöse bei den Nebenrechten. Freilich wären in beiden Fällen Honorare bzw. Vorauszahlungen auf alle Beteiligungen anzurechnen. Eine solche Verteilung der Tantiemen würde für alle Beteiligten bedeutende Konsequenzen haben und den Markt der Literaturübersetzungen nachhaltig verändern.     

Holger Fock, geb. 1958, übersetzt seit 30 Jahren französische Literatur, erhielt 2011 zusammen mit Sabine Müller den Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis und 2015 den Prix lémanique de la traduction. Bis 2017 gehörte er der Honorar- und der Verhandlungskommission des VdÜ/der Bundessparte Übersetzer in ver.di an und war Präsident des Rats der Europäischen Literaturübersetzer-Verbände CEATL.

Foto: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren

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