28. März 2018 – Interview

«Ich besetze gerne zwei Positionen»

Sieben Fragen an Namita Khare, Übersetzerin aus New Delhi

Was übersetzt du gerade?
Zurzeit bin ich an zwei Übersetzungsprojekten beteiligt: Beim einen handelt es sich um literarische Werke aus dem 20. Jahrhundert, die sich mit dem Thema Faschismus auseinandersetzen und die aus dem Deutschen, Französischen, Spanischen, Italienischen und Portugiesischen auf Hindi übersetzt werden. Ich befasse mich für diese Anthologie mit Franz Werfels Erzählung Die arge Legende vom gerissenen Galgenstrick. Ausserdem beschäftige ich mich mit Marcel Reich-Ranickis Auswahl der besten deutschen Gedichte. Bei diesem Projekt bin ich zusammen mit einem Dichter die Herausgeberin und auch ein Team von drei weiteren Übersetzerinnen arbeitet mit.

Wie bist du Übersetzerin geworden? Und wie kamst du dazu, gerade Deutsche Literatur zu übersetzen?
Deutsch als Fremdsprache beziehungsweise Germanistik habe ich schon vor längerer Zeit studiert und den Master mit Schwerpunkt Übersetzen und Dolmetschen erlangt. Nach dem Studium wollte ich möglichst bald selbstständig werden, doch eine Tätigkeit als Übersetzerin konnte ich mir der finanziellen Unsicherheit wegen schwer vorstellen. Irgendwann kam eine Anfrage, ob ich Interesse hätte, Herta Müller zu übersetzen, und da ich zu der Zeit finanziell auf etwas stabilerem Boden stand, entschied ich mich, mir eine Auszeit als Übersetzerin zu gönnen. Und seitdem kann ich mich beim bestem Willen nicht zurückhalten!

Wie findest du in Indien Verlage, die Übersetzungen aus dem Deutschen publizieren möchten?
Viel habe ich bisher nicht publiziert, aber bei meinem ersten Werk hat ein sehr bekannter Schriftsteller, dessen Werke ich in der deutschen Übersetzung analysiert hatte, mich dem Verlag empfohlen. Der Anfang war also sozusagen auf Basis einer Bekanntschaft gelungen. Seitdem kontaktiere ich manchmal die Verleger und stelle ihnen Projekte vor.  

Du hast zusammen mit Heinz Werner Wessler den Workshop für Übersetzerprofis Hindi-Deutsch/Deutsch-Hindi im Übersetzerhaus Looren geleitet. Womit haben sich die 12 Teilnehmenden aus Indien und Deutschland beschäftigt?
Was die Auswahl der eingereichten Texte angeht, hatten wir sowohl Romane und Erzählungen als auch Gedichte. Zeitlich waren die Texte sehr unterschiedlich situiert: Wir hatten einen Text von Johann Wolfgang von Goethe, aber auch einen von Peter Stamm. Die Hindi-Texte stammten hauptsächlich aus dem 20. Jahrhundert und vertraten sowohl die kanonischen Autoren als auch die weniger bekannten Schriftsteller. Sämtliche Projekte waren für die Übersetzung aber sehr anspruchsvoll. 

Im Anschluss an den Workshop hast du an den Tagen Indischer Literatur im Literaturhaus Zürich teilgenommen. Welche Themen sind in der zeitgenössischen Hindi-Literatur besonders aktuell?
Einige der Themen, die beim Festival gut vertreten waren, nämlich die Dalit-Literatur und die Teilung Indiens, sind auch heute noch sehr relevant. Vor allem das Erstere, denn es hat lange gedauert, bis die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, zu Wort kommen. Ausserdem ist die Hindi-Literatur sehr stark von Politik beeinflusst und diese Tendenz ist auch in der jetzigen Zeit gut spürbar.

Was hat dich am Übersetzerhaus Looren überrascht?
Die Tatsache, dass alles sehr reibungslos lief: sei es der Austausch mit den Menschen, die das Haus beherbergt, aber auch was unsere Sonderwünsche anbelangte. Natürlich ist auch die Lage des Hauses atemberaubend! Leider hat der Ablauf der Werkstatt mir nicht ermöglicht, das Haus und die Umgebung intensiver zu erkunden, aber ich werde das hoffentlich irgendwann nachholen können.  

Was ist das schönste Wort in Hindi und was heisst es?
Ich kann schlecht in Superlativen denken, aber das Wort, das bei mir gerade durch den Kopf schwirrt, lautet हाशिया (Hashiya), also Rand; sei es die Randstellung der Übersetzer oder der Rand eines Taschentuchs, wie es bei einem Werk von Herta Müller vorkommt, oder einige Randnotizen bei einem Workshop, die ich allmählich entziffern sollte. 

Kurzbiografie:
Ich besetze sehr gerne zwei Positionen, nämlich die einer Übersetzerin, aber auch die einer Dozentin. Zurzeit bin ich an der Delhi University beim Department of Germanic and Romance Studies beschäftigt. Ausserdem versuche ich auch mit der Doktoarbeit vorwärts zu kommen und meine Töchter zu sozial bewussten Menschen zu erziehen.

Land: Indien
Ausgangssprachen: Deutsch und Englisch
Zielsprachen: Hindi und Englisch
Übersetzungen (Auswahl):
Herta Müller: Kaanch ke aansoo (Der Mensch ist ein grosser Fasan auf der Welt); Ek shoonyank ki atmkatha (Atemschaukel); Hamare yahaan Germany mein (Bei uns in Deutschland); Har shabd dushchakra ke bare mein kuch janta hai (Jedes Wort weiss etwas von Teufelskreis)

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Übersetzerwerkstatt Hindi-Deutsch/Deutsch-Hindi im Übersetzerhaus Looren – mit dem Gastautor Peter Stamm (2.v.r. oben) und den Leitern Namita Khare und Heinz Werner Wessler (rechts unten).

Fotos: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren

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