18. Mai 2020 – Interview

«Literatur sprengt die Enge der eigenen vier Wände»

Für das Online-Festival der Solothurner Literaturtage vom 22.-24. Mai hat Gabriela Stöckli die Übersetzerin Patricia Klobusiczky nach ihren Wünschen fürs Übersetzen gefragt. Ein Gespräch über die Kraft der Mehrsprachigkeit, Literaturkritik und geschlechtergerechte Sprache.

Mit deiner Übersetzung Als der Teufel aus dem Badezimmer kam von Sophie Divry hättest du in Solothurn auftreten sollen. Was wünschst du dem Buch?

Ich wünsche ihm eine weiter wachsende Leserschaft, weil seine Kernaussage immer zutreffen wird: Literatur, Fantasie und Humor helfen in der Not und sprengen Mauern, in Quarantäne-Zeiten die Enge der eigenen vier Wände. Es ist auch sprachlich ein Fest – erstaunlich, wie biegsam, klangvoll und verspielt das Deutsche sein kann, wenn man die Fesseln der Wortwörtlichkeit (und zuweilen auch der Logik) abstreifen darf.

Du bist zweisprachig Deutsch und Französisch aufgewachsen. Ist Zwei- oder Mehrsprachigkeit etwas, das du jedem Menschen wünschst?

Ja, unbedingt – ich habe zwar erst Französisch und dann ab acht Deutsch gelernt. Das ging noch recht mühelos und war – nach ersten Schwierigkeiten, Heimweh nach Frankreich, Hadern mit der Grammatik – dann eine euphorisierende Erfahrung, eine richtige Offenbarung. Aus kindlicher Perspektive sind die anderen Sprachen ja lauter neue Spielplätze – später wird deutlich, dass sie einem neue Sicht- und Denkweisen eröffnen. Die Ausdruckskraft des Deutschen hat meinen Wunsch, Übersetzerin zu werden, stark motiviert. Ich erlebe immer wieder, dass Mehrsprachigkeit Empathie fördert, den Dialog mit anderen leicht macht. Das ist auch ein Grund, warum ich mit der Vorstellung vom Weltbürgertum viel anfangen kann.

Wünschst du dir manchmal, das Schaffen von Autorinnen und Übersetzern würde nicht mit verschiedenen Ellen gemessen?

Ja. Ich wünsche mir seitens der Kritik ein Bewusstsein dafür, dass der Text, den sie bespricht, Wort für Wort und Komma für Komma von der Übersetzerin erschaffen wurde. Dass es nicht darum geht, eine (vermeintlich) falsche Vokabel zu rügen, sondern den Ansatz zu erkennen und die Stimmigkeit des Ganzen zu würdigen. Und wenn sie die Sprachmacht des Originals lobt, das rhythmische Gespür des Autors, sollte sie wenigstens darauf hinweisen, dass ihr diese durch eine offenbar geglückte Übersetzung nahegebracht wurde.

Welche übersetzerische Fähigkeit, über die du nicht verfügst, wünschst du dir?

Die Gabe, schnell eine Rohfassung zu erstellen und damit weiterzuarbeiten.

Welchen Wunsch hast du für die Beziehung der Geschlechter in der Sprache?

Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich da als wunschlos glücklich bezeichnet und das generische Maskulinum hartnäckig verteidigt. Inzwischen wünsche ich mir, dass die Forderung nach geschlechtergerechter Sprache ernsthaft diskutiert und ein breiter gesellschaftlicher Konsens erreicht wird: Die Sichtbarkeit von Frauen und Non-Binären ist auch eine sprachliche Herausforderung – und die Sprache bietet so viele Möglichkeiten, sie zu meistern, je nach Kontext und Gattung. Sicher wird es künftig auch in der Literatur mehr Fälle von Feminisierung oder Nichtfestlegung geben. Ich hatte erst einmal damit zu tun, in einem Handlungsstrang des Romans Der Duft des Waldes von Hélène Gestern, und es war durchaus ein kleiner gedanklicher Kraftakt, kein Geschlecht anzuzeigen. Eine solche Sensibilisierung brauchen wir aber auch in anderen Kontexten; das wird mir bewusst, seit ich die aus Simbabwe stammende Autorin Petina Gappah übersetze, oder den Londoner Michael Donkor, der ghanaische Wurzeln hat. Wir müssen alte Dominanzstrukturen auch in der Sprache aufbrechen, sei es die des Patriarchats oder die der Kolonialherrschaft.

Gibt es ein Buch, das du gern übersetzen würdest?

Ja, die Erinnerungen einer Schildkröte, die im 18. Jahrhundert im Garten eines englischen Pfarrers lebte, verfasst von einem zeitgenössischen amerikanischen Autor. Dieser stützt sich auf die Tagebücher besagten Pfarrers, den es wirklich gegeben hat und dessen Nachlass in einer Bibliothek schlummerte, bevor er auf diese originelle Weise erweckt wurde. Besonders reizvoll ist die Perspektive: Die Schildkröte beobachtet uns Menschen, seltsame Lebewesen, die schutz-, weil panzerlos den Launen der Natur ausgeliefert sind.

Welchen Wunsch hast du für dein aktuelles Übersetzungsprojekt?

Dass die Frankfurter Buchmesse stattfindet und die Autorinnen und Autoren des Gastlands Kanada anreisen können. Ich übersetze gerade den Roman Le ciel de Bay City von Catherine Mavrikakis. Sie gilt längst als eine der bedeutendsten Stimmen Québecs, ist hier aber noch völlig unbekannt, obwohl sie sich – auf einzigartige Weise, wuchtig und filigran zugleich – mit europäischer Geschichte auseinandersetzt, die so vielen Auswanderungswellen in die Neue Welt zugrunde liegt.

Was in deiner Tätigkeit als Übersetzerin lässt zu wünschen übrig?

Die Rahmenbedingungen natürlich, und das betrifft alle literarischen Übersetzer weltweit. Die Honorare reichen kaum für ein bescheidenes Leben, sie sinken sogar tendenziell, der Zeitdruck hingegen wächst und wächst.

Möchtest du einen realistischen Wunsch an die Buchbranche richten?

Dass sie unseren Status als Ko-Autorinnen endlich flächendeckend anerkennt und wir nicht immer wieder auf unsere – gesetzlich vorgeschriebene – Nennung pochen müssen, sei's auf der Website, sei's in Anzeigen. Dass sie erkennt, welches Vermittlungspotenzial sie mobilisieren kann, wenn sie uns würdigt und einbindet und uns auch auf dem Cover nennt, wie Sabine Dörlemann, Sebastian Guggolz, der Mare Verlag und Matthes & Seitz es längst tun. Interessant, dass gerade diese Verlage ihre Bücher besonders schön gestalten (ein Einwand der grossen Verlage ist ja immer, das würde sich optisch so schlecht machen, Stichwort «Typograb»…) Dabei kostet das wenig bis nichts und ist ein Ausdruck grosser Wertschätzung.

In welchem Bereich deines Lebens bist du wunschlos glücklich?

Bereich? Für mich sind Leben und Lesen (Übersetzen ist eine produktive Form des Lesens) so ziemlich eins – und das ist genau das Glück, nach dem ich immer gestrebt habe.

Patricia Klobusiczky, 1968 in Berlin geboren, hat in Düsseldorf Literarisches Übersetzen studiert und ist seit 25 Jahren in der Branche tätig. Sie übersetzt aus dem Englischen und Französischen, Autoren der klassischen Moderne wie Jean Prévost oder Henri-Pierre Roché oder Zeitgenössisches, beispielsweise Romane von Marie Darrieussecq, William Boyd oder Petina Gappah, ab und zu ein Theaterstück oder Kinderbuch, zuweilen auch Sachbücher. Breit ist auch das Spektrum ihrer Auftraggeber, von kleinen unabhängigen Verlagen wie Dörlemann oder Secession zu Verlagsgruppen wie Random House oder Bonnier. Patricia Klobusiczky lebt in Berlin.

Porträtfoto: © Bernd Hartung

Interview: Gabriela Stöckli, Geschäftsleiterin Übersetzerhaus Looren

Patricia Klobusiczky tritt am Solothurner Online-Festival als «Gläserne Übersetzerin» auf (die Veranstaltung ist ausgebucht). 

Entdecken Sie hier weitere Beiträge von und mit Übersetzerinnen und Übersetzern

Zum Gesamtprogramm des Solothurner Online-Festivals.


Übersicht