1 septembre 2022 – Entretien

«Das Schönste am Mentorat ist das gemeinsame Nachdenken über den Text!»

«Wenn man sich mit jemandem über einen Text austauscht, lernt man immer etwas, auch wenn man noch so erfahren ist!», sagt Mentorin Mascha Dabić.
«Wenn man sich mit jemandem über einen Text austauscht, lernt man immer etwas, auch wenn man noch so erfahren ist!», sagt Mentorin Mascha Dabić.

Wie schafft man es, als literarische Übersetzerin Fuss zu fassen? Das fragen sich viele Berufseinsteigerinnen. Das Übersetzerhaus Looren bietet einwöchige Mentorate an, in denen ein Nachwuchsübersetzer von einer erfahrenen Kollegin begleitet wird. Im Juli 2022 verbrachte Jelica Popović mit ihrer Mentorin Mascha Dabić eine Woche in Wernetshausen, um an ihrem ersten Übersetzungsprojekt aus dem Serbischen ins Deutsche zu arbeiten. 

Mascha und Jelica, was macht man während eines Mentorats im Übersetzerhaus Looren?

Jelica Popović: Man bewirbt sich für das Mentorat mit einem Buch, das man gerne übersetzen würde. Im Zentrum des Mentorats steht dann vor allem die gemeinsame Arbeit an diesem Text. Man sitzt aber nicht dauernd zusammen. Ich habe immer wieder auch allein weitergearbeitet und versucht, das Gelernte umzusetzen.

An welchem Projekt habt ihr gearbeitet?

JP: Es handelt sich um ein Tagebuch des serbischen Autors Srđan Valjarević, das 1995 erschienen ist. Darin beschreibt er in einfachen und kurzen Sätzen seine Spaziergänge durch Belgrad zur Zeit der Jugoslawienkriege. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Politischen, sondern auf dem Alltag der Belgrader Zivilbevölkerung unter dem UN-Embargo und der damit verbundenen internationalen Abschottung von Serbien und Montenegro. Es gibt viele Bücher über den Zerfall Jugoslawiens, aber die Perspektive, die Valjarević einnimmt, ist besonders und sollte auch einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht werden.

Was war das Ziel des Mentorats?

JP: Mein Ziel war es, für diesen aussergewöhnlichen Text ein Dossier zu erstellen, damit ich das Buch Verlagen vorschlagen kann. Dafür braucht man vor allem eine gute Textprobe. Ich hatte bereits einiges an Text übersetzt, den wir dann gemeinsam überarbeitet haben. Zudem muss der Verlag auch etwas über das ganze Buch erfahren, damit er eine Entscheidung treffen kann. Dafür hat Mascha ein Gutachten geschrieben. 

Was ist mit Gutachten gemeint?

Mascha Dabić: Dabei handelt es sich um einen Text, der das Buch zusammenfasst und auch stilistisch und inhaltlich einordnet. Historische Bezüge, biografische Angaben zum Autor und auch mögliche übersetzerische Schwierigkeiten sollen aufgezeigt werden, damit die Leute im Verlag genau wissen, mit was für einem Projekt sie es zu tun haben. 

Und jetzt kann das Dossier nach dem Mentorat verschickt werden?

JP: Genau. Ich konnte schon einige Verlage kontaktieren. Die gemeinsame Woche in Looren ist für die Erstellung eines solchen Dossiers zu einem Text, mit dem man sich bereits intensiv beschäftigt hat, wirklich ideal. Und Mascha hat nicht nur das Gutachten geschrieben, sondern mir darüber hinaus einige Kontakte vermittelt.

Jelica steht jetzt ganz am Anfang ihrer Übersetzerinnenkarriere. Erzähl uns etwas von deinen Anfängen, Mascha. Wie kamst du zu deinem ersten Auftrag?

MD: Ich hatte grosses Glück am Anfang meiner Karriere. Ich habe einfach drauflosübersetzt, weil mir ein Buch so sehr gefallen hat. Am Anfang war es ein reines Spassprojekt, an dem ich neben meiner Dissertation gearbeitet habe. Und dafür hat sich dann über mehrere Ecken tatsächlich ein Verlag gefunden. 

Um welches Buch handelte es sich?

MD: Das war Ausgehen (Izlaženje) von Barbi Marković. Es ist gewissermassen ein literarischer Remix von Thomas Bernhards Erzählung Gehen, die die Autorin in die Belgrader Clubszene verfrachtet hat. Ich fand es unglaublich spannend, eine an Thomas Bernhard angelehnte Sprache aus dem Serbischen zurück ins Deutsche zu holen. Ein Bekannter von mir hat das Buch schliesslich einem Lektor von Suhrkamp empfohlen, und die haben tatsächlich angebissen.

Wie schön, wenn man seine erste Übersetzung gleich bei Suhrkamp veröffentlichen kann.

MD: Ja, das war wirklich unglaublich. Danach kamen dann auch weitere Aufträge. Wenn man am Beginn seiner Karriere steht, kann der Weg zur ersten Publikation ziemlich anstrengend sein – und deswegen sind solche Mentorate so wichtig, in denen junge Übersetzerinnen unterstützt werden. Sobald man einmal etwas publiziert hat, wird es einfacher. 

Machst du auch weiterhin Vorschläge an Verlage?

MD: Es ist bequemer, wenn man etwas angeboten bekommt, aber ich mache trotzdem immer wieder Vorschläge. Ich muss allerdings zugeben, dass ich damit nur wenig Erfolg hatte. Ich würde nicht sagen, dass es schwierig oder einfach ist, ein Buch unterzubringen, es ist wohl vor allem eine Glückssache, dass man zufällig zur richtigen Zeit dem richtigen Verlag ein passendes Projekt vorschlägt. Versuchen sollte man es aber auf jeden Fall! So viele tolle Texte wären wohl nie übersetzt worden, wenn sich nicht Übersetzer dafür eingesetzt hätten.


Mentorin und Mentee bei der Arbeit im Übersetzerhaus Looren. 


Kommen wir noch zu eurer Sprachkombination. Gibt es typische Schwierigkeiten oder Probleme, die immer wieder auftreten, wenn man aus dem Serbischen, Kroatischen oder Bosnischen ins Deutsche übersetzt?

MD: Ja, die gibt es. Die haben wir im Mentorat natürlich auch angesprochen. Man kann im Serbokroatischen beispielsweise sehr frei mit dem Tempus umgehen, ohne dass es irritiert. Im Deutschen funktioniert das nicht, und man kann das Tempus nicht ohne weiteres aus dem Original übernehmen. Weiter sind Pronomen wie „jener/jene“ ein Problem. Die kommen in der Sprache sehr oft vor, aber man sollte sie nicht jedes Mal wörtlich übersetzen, weil man dem Text sonst sofort anmerkt, dass er übersetzt ist.

Die Flüche im Serbokroatischen sind hier vielleicht auch noch ein Beispiel ...

JP: Genau, im Serbokroatischen wird sehr heftig und auch kreativ geflucht. Das ist aber meist Teil des normalen Sprachgebrauchs und stellt keinen Tabubruch dar. Entsprechend darf ich die Flüche nicht wörtlich übernehmen, weil der Effekt im Deutschen sonst viel zu stark wäre.

Ich nehme an, solche Schwierigkeiten traten auch beim Text von Valjarević auf. 

JP: Ja, genau. Hier konnte mir Mascha ein paar gute Tipps mitgeben. Ich denke, Übersetzerinnen, die noch nicht so viel Erfahrung haben, neigen immer etwas dazu, zu nahe am Original zu bleiben. Erst mit der Erfahrung kann man sich von der Wortebene lösen, kann sprachliche Effekte besser erkennen und auch übertragen. Aber es gibt beim Übersetzen nie eine Patentlösung, jeder Text ist anders.

MD: Beim Übersetzen muss man Situationen immer wieder neu bewerten. Gewisse Rezepte sind zwar praktisch und funktionieren auch oft, trotzdem geht es eben gerade darum, Automatismen immer wieder in Frage zu stellen. 

Spielt es für euch eine Rolle, ob ihr aus dem Serbischen, Kroatischen oder Bosnischen übersetzt?

MD: Für das Übersetzen aus diesen Sprachen ist das eigentlich nicht relevant. Es ist die gleiche Sprache und für den passiven Gebrauch macht es meines Erachtens keinen Unterschied, um welche Variante es sich handelt. Ein Wörterbuch braucht man sowieso in allen, auch wenn ich persönlich beim Bosnischen vielleicht etwas weniger nachschlagen muss. Wenn man in eine der Varianten übersetzt, dann muss man sich natürlich für eine entscheiden. 

Wird viel aus dem Serbischen, Kroatischen und Bosnischen ins Deutsche übersetzt?

MD: Mir scheint, es wird schon einiges übersetzt. Aber dieser Eindruck entsteht wohl auch, weil ich genau beobachte, was alles aus diesem Sprachraum auf Deutsch veröffentlicht wird. Wenn ich den Buchmarkt dann mit etwas mehr Abstand betrachte, wird mir bewusst, wie unglaublich viel aus dem Englischen übersetzt wird. Da bleibt eigentlich nur noch wenig Platz für die sogenannt «kleineren» Sprachen. In Österreich wird meines Wissens relativ viel aus dem Serbokroatischen übersetzt. Das liegt sicher an der geografischen Nähe von Wien zu Belgrad, Zagreb und Sarajevo. In Deutschland ist das vermutlich weniger der Fall. Für die Schweiz weiss ich es nicht genau.

Wie schätzt du die Situation in der Schweiz ein, Jelica?

JP: Obwohl die serbokroatische Sprachgemeinschaft in der Schweiz gross ist, scheint mir die Bereitschaft, Bücher aus diesem Sprachraum zu publizieren, sehr gering. Schweizer Verlage haben kaum Übersetzungen aus dem Serbokroatischen im Programm. Das ist schade, weil es auch spannende Autorinnen und Autoren gibt, die Serbokroatisch schreiben und in der Schweiz leben.

Jelica, übersetzt du jetzt anders nach dem Mentorat mit Mascha?

JP: Ich habe viel über den Übersetzungsprozess und dessen Komplexität gelernt. Es braucht einfach Beharrlichkeit und viele Überarbeitungen, damit ein Text wirklich gut wird. Das Schönste am Mentorat fand ich eigentlich das gemeinsame Nachdenken und Diskutieren über den Text. Am liebsten würde ich immer so arbeiten. 

Siehst du das auch so, Mascha?

Ja, mir hat die gemeinsame Arbeit auch grossen Spass gemacht. Auch ich könnte immer mal wieder ein Mentorat gebrauchen. Wenn man sich mit jemandem über einen Text austauscht, lernt man immer etwas, auch wenn man noch so erfahren ist! Vier Augen sehen nun mal mehr als zwei. 

Würdest du solche Wochenmentorate anderen jungen Übersetzern weiterempfehlen?

JP: Auf jeden Fall. Ich habe sehr viel gelernt und bin dankbar für dieses Angebot. Jetzt hoffe ich, dass ich es mit meinem Dossier schaffe, einen Verlag von mir und von diesem Buch zu überzeugen.

Mascha, was würdest du als erfahrene Übersetzerin dem Nachwuchs mit auf den Weg geben wollen?

MD: Ich glaube, das Wichtigste in diesem Beruf ist, dass man Freude daran hat. Übersetzen ist sehr handwerklich und kann auch erschöpfend sein, weil man so sehr in Details vertieft ist. Dabei sollte man nie vergessen, was der Text einem eigentlich sagen wollte, warum man sich dafür so begeistert hat und warum Menschen überhaupt lesen. Die Begeisterung für die Literatur sollte man sich immer bewahren und immer eine Leserin bleiben. 


Mehr Informationen zum Nachwuchsprogramm des Übersetzerhauses Looren finden Sie hier!

 

Jelica Popović, geboren 1982 in Banja Luka, Jugoslawien, kam 1988 in die Schweiz. Sie hat in Zürich Germanistik, Osteuropäische Geschichte und BKMS-Literaturwissenschaft studiert. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit dem Balkanbegriff und Balkandiskurs im postjugoslawischen Rap befasst. Ihre Interessen umfassen (post-)migrantisch gesellschaftliche Themen und sie ist als freie Übersetzerin aus dem Bosnisch-, Kroatisch-, Montenegrinischen und Serbischen ins Deutsche tätig. Sie lebt in Zürich.

Mascha Dabić, geboren 1981 in Sarajevo, Jugoslawien, lebt in Wien. Studium der Translationswissenschaft (Englisch und Russisch), Dissertation zum Thema „Dolmetschen in der Psychotherapie“. Übersetzt Literatur aus dem Balkanraum, lehrt Dolmetschen und Übersetzen (Russisch) an der Universität Wien. 

 

Interview und Bilder: Steven Wyss, Übersetzerhaus Looren


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