18 décembre 2019 – Tribune libre

Ein Wohlfühlort für Introvertierte und Gesellige

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tschechisch-Slowakisch-Deutschen-Übersetzer-Werkstatt im Übersetzerhaus Looren im April 2019. Marie Voslářová (vorne Mitte).
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tschechisch-Slowakisch-Deutschen-Übersetzer-Werkstatt im Übersetzerhaus Looren im April 2019. Marie Voslářová (vorne Mitte).

Im Frühling nahm Marie Voslářová an der ViceVersa-Werkstatt Tschechisch-Slowakisch-Deutsch im Übersetzerhaus Looren teil und besuchte das Haus im Sommer gleich nochmals. Über ihren Aufenthalt an diesem «Wohlfühlort» und den anregenden Austausch mit Berufskollegen berichtete die tschechische Übersetzerin in der Zeitschrift iLiteratura. Wir publizieren ihren Beitrag in gekürzter Fassung auf Deutsch. 

Von Marie Voslářová

Aus dem Tschechischen übersetzt von Eva Profousová.

Der Originalbeitrag erschien in der Zeitschrift iLiteratura: http://www.iliteratura.cz/Clan...

In diesem Juni habe ich meinen ersten Aufenthalt in einem Übersetzerhaus absolviert. Bereits während meiner Studienzeit hatte ich von solchen Orten gehört und mir heimliche Einsiedeleien für Auserwählte vorgestellt, Stätten, wo verdiente Translatologen und Mitglieder interkultureller Bruderschaften zusammenkommen, Eliteklubs, für die man sich mit Übersetzungen von Proust oder Joyce qualifiziert. Daher leider nichts für mich, dachte ich damals. Dass das nicht stimmte, stellte sich bald heraus. Aber was ist ein Übersetzerhaus eigentlich?

Die meisten Länder, die Wert auf Bildung legen, haben eine Institution zur Förderung von literarischen Übersetzungen. Eine der möglichen Erscheinungsformen ist ein Übersetzerhaus, in dem man gegen einen symbolischen Betrag für ein paar Wochen oder Monate unterkommen und ungestört an einer literarischen Übersetzung arbeiten kann. In manchen Fällen ist der Aufenthalt auch mit einem Stipendium oder sonstigen Vorteilen verbunden. Von solchen Häusern gibt es in Europa eine ganze Reihe, jedes funktioniert nach etwas anderen Regeln. Ich habe das Übersetzerhaus Looren im Zürcher Oberland «getestet».

Die anwesenden Kolleginnen und Kollegen arbeiteten zwar vorwiegend mit Französisch und Englisch, aber Looren steht allen Sprachkombinationen offen. Die einzige Hürde besteht darin, dass die Interessenten eine grössere Veröffentlichung hinter sich haben und für das Projekt, an dem sie in Looren arbeiten wollen, einen Verlagsvertrag vorweisen müssen.

Das Haus liegt eine knappe Stunde Zugfahrt von Zürich entfernt und verfügt über neun zweckmässig eingerichtete Zimmer mit Bad (für Übersetzerpaare gibt es sogar ein Doppelzimmer), gemeinsame Küche, grosszügige Wohnräume, Garten und wunderschönen Ausblick auf den Zürichsee. Zuzüglich jeder Menge Natur drum herum. Das Haus bietet den Gästen nicht nur eine gut ausgestattete Bibliothek und zuverlässigen Internetanschluss, sondern auch ein Büro mit unglaublich entgegenkommenden Menschen, die sich um die verschiedenen Aktivitäten dieses Übersetzerzentrums kümmern. Für spontane Besucher hat Looren übrigens ein tolles Tool: einen Online-Kalender mit Übersicht der freien Zimmer. Wundersamerweise sind nicht immer alle belegt.

Für die Unterbringung zahlt man symbolisch 25 Schweizer Franken pro Woche. Für die Dauer des Aufenthaltes kann man aber auch ein Stipendium in der Höhe eines anständigen Taschengeldes bekommen (so nah an einem «geregelten Einkommen» bin ich lange nicht gewesen!). Für die Verpflegung sorgt jeder für sich. Während meines Aufenthaltes stellte sich die angenehme Tradition einer gemeinsamen Abendtafel ein, das hängt jedoch von den jeweiligen Hausgästen ab.

Wegen meiner bisherigen Erfahrung mit Arbeitsreisen war ich gespannt, ob ich in Looren die notwendige Arbeitsmoral aufbringen würde: Natürlich lockte die nähere und entferntere Umgebung zu Ausflügen – es wäre auch richtig schade gewesen, die Gelegenheit ungenützt verstreichen zu lassen; ausserdem lagen im Haus ständig Einladungen zu unterschiedlichen Literatur- und Übersetzungsveranstaltungen auf dem Tisch. Aber schon das Wissen darum, dass um mich herum zahlreiche nette, an meinem übersetzerischen Vorankommen interessierte und mit Rat und Tat zu helfen bereite Kolleginnen an ihren Schreibtischen fleissig in die Tasten griffen, wirkte enorm motivierend. Ausserdem sass mir der Abgabetermin im Nacken.

Looren ist für mich ein Wohlfühlort, und das kann ich sowohl für mein introvertiertes als auch geselliges Ich sagen. Hockte ich den ganzen Tag im Zimmer, wunderte sich keiner (man kommt doch nach Looren, um dort zu arbeiten), genauso verständnisvoll reagierte man aber auch, als ich etwas unternahm (man muss sich doch Pausen gönnen, wenn man gut arbeiten will). Immer wieder ergaben sich Gelegenheiten – und das nicht nur um den Kaffeeautomaten oder Aschenbecher herum – mit den anderen Gästen aktuelle übersetzerische oder andere Fragen zu besprechen oder gemeinsame Unternehmungen in Angriff zu nehmen. Es war ein grosses Erlebnis und ein Privileg, die Zeit in einer so illustren internationalen Gesellschaft zu verbringen, unter den unterschiedlichsten Menschen, die ihr Interesse an Literatur, Kultur und Farbigkeit der Welt eint (ein koreanischer Lyrikübersetzer aus Buenos Aires, der sich wegen Paul Celan Deutsch beigebracht hat; ein in Wien lebender kubanischer Emigrant, der über einer Auswahl aus dem Werk von Alexander von Humboldt verzweifelte; eine spanisch-mexikanische Liebhaberin von Marina Zwetajewa und so weiter und so fort ...).

Aus den zahlreichen Unterhaltungen schälten sich Empfehlungen für andere Übersetzerhäuser heraus: neben dem bekannten Übersetzerkollegium in Straelen wurden Lobeshymnen gesungen auf das lettische International Writer’s and Translator’s House in Ventspils oder das Baltic Center for Writers and Translators auf der schwedischen Insel Gotland, das zwar in erster Linie für die baltischen Anrainerstaaten bestimmt ist, aber auch für unsereins scheint ein Aufenthalt möglich zu sein. Und wer sich schon ein bisschen in der Materie auskennt, der weiss, dass auch in anderen interessanten Schriftsteller- oder Künstlerresidenzen Übersetzer willkommen sind. Auch sonst gab es nützliche Tipps: Wissen denn alle Übersetzer deutschsprachiger Literatur, dass sie nach dem Erscheinen einer Übersetzung eines österreichischen Autors eine finanzielle Prämie beantragen können? 

Die vierzehn Tage waren wie im Flug vergangen. Wenn ich nach der Veröffentlichung ein Exemplar meiner Übersetzung nach Looren schicken werde – den Roman Schizogorsk von Walter Vogt – werde ich ein riesiges Dankeschön dranhängen. 

Deutsch-tschechisch-slowakische ViceVersa-Werkstatt

In diesem Sommer wäre ich vermutlich nicht nach Looren gekommen, hätte mich im Frühjahr nicht eine Übersetzerwerkstatt auf den Ort aufmerksam gemacht. An der einwöchigen Veranstaltung, von Eva Profousová, Ján Jambor und Zorka Ciklaminy in Looren organisiert, haben zwölf Übersetzerinnen und Übersetzer in der Sprachkombination Tschechisch-Deutsch und Slowakisch-Deutsch (und umgekehrt) teilgenommen, was sich als ein funktionierendes Modell herausstellte. Wie bei einer ViceVersa-Werkstatt üblich, stellten alle Teilnehmenden ein paar Seiten aus ihrer aktuellen Übersetzung zur Verfügung, die während der Werkstatt en détail besprochen wurden; es gab aber auch ein Rahmenprogramm – der Schriftsteller Peter Stamm, an dessen Übersetzung zwei der Teilnehmer arbeiteten, kam zu Besuch, es fanden auch ein paar thematische Vorträge statt.

Eine ViceVersa-Werkstatt ist nicht nur eine wunderbare Möglichkeit, ein Feedback zum aktuellen Übersetzungsprojekt zu bekommen, sie ist auch ein Ort, an dem man Kolleginnen kennenlernt, sich über die Herangehensweise an den Text und die Erfahrungen austauscht. Schon die Möglichkeit, andere Übersetzer mit konkreten Textproblemen zu konsultieren, hat mir viel gebracht, noch wichtiger aber fand ich Ratschläge, wie und wo man forschen, an wen man sich wenden, wie man noch mehr über den Kontext des zu übersetzenden Werkes erfahren kann ... Ein besonderes Kapitel bilden dann die Diskussionen über übersetzerische Lösungen: Die Fähigkeit sich taktvoll und verständlich zu äussern und offen Kritik anzunehmen ist keine Selbstverständlichkeit.

Gerne möchte ich Kolleginnen und Kollegen ermuntern, sich für solche Weiterbildungen die Zeit zu nehmen, und sollte es in ihrer Sprachkombination solche Werkstätten nicht geben, sie eventuell auch in irgendeiner Form anzustossen – die Zeitinvestition kommt in gesteigerter Arbeitsmotivation zurück.


Marie Voslářová ist freischaffende Übersetzerin und Publizistin aus Prag. Sie übersetzt Kinderbücher, Erzählungen und Romane aus dem Deutschen und Schwedischen ins Tschechische. Kürzlich sind ihre Übersetzungen von Walter Vogt und Clemens J. Setz erschienen. Marie Voslářová arbeitet mit der Internetzeitschrift iLiteratura.cz zusammen, wo sie vor allem über aktuelle schwedische Literatur informiert und Interviews mit bedeutenden Übersetzern führt.

Gruppenfoto: Janine Messerli, Übersetzerhaus Looren

Porträtfoto: Dominika Duchková

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