«Ohne Übersetzer und Übersetzerinnen wäre Helvetiq nicht das, was wir jetzt sind.»

Myriam Sauter ist Lektorin bei Helvetiq. Der Schweizer Verlag publiziert auf Deutsch, Französisch und Englisch und geht bei der Sichtbarmachung von Übersetzern und Übersetzerinnen mit gutem Beispiel voran. Im Rahmen unserer Kampagne «Name the translator!» hat Looren-Mitarbeiterin Ulrike Rehberg, die selbst auch für den Verlag übersetzt, mit Myriam Sauter darüber gesprochen, was Helvetiq für die Sichtbarkeit der Übersetzer und Übersetzerinnen tut und warum das in ihren Augen so wichtig ist.
Interview: Ulrike Rehberg
Myriam, du bist Lektorin beim Schweizer Verlag Helvetiq. Was macht euch aus, was macht ihr für Bücher und wofür steht ihr?
Ich würde sagen, Helvetiq steht vor allem für Vielfalt. Wir publizieren Bücher und Spiele und haben ein sehr diverses Verlagsprogramm: Wir veröffentlichen Kochbücher und Wanderführer, die oft eher regional sind, aber auch Graphic Novels und Kindersachbücher, die wir so konzipieren, dass sie auf der ganzen Welt gelesen werden können, weil sie sich meist mit globalen Themen beschäftigen.
Und das Besondere ist, dass ihr in mehreren Sprachen veröffentlicht, und zwar immer gleichzeitig, oder?
Ja, genau.
Das ist für mich das Interessante an Helvetiq – denn damit fördert ihr ja die Sprachenvielfalt.
Ein weiterer Aspekt dieser Vielfalt ist: In Bezug auf die Schweiz versuchen wir, den sogenannten «Röstigraben» zu überbrücken, also die Sprachgrenze zwischen der frankophonen und der deutschsprachigen Schweiz. Aber gleichzeitig wollen wir die Bücher auch so machen, dass sie in sehr vielen verschiedenen Sprachen existieren können.
Das heisst, bei euch wird fast alles übersetzt, oder?
Genau, fast alles. Wir übersetzen zum einen unsere eigenen Bücher, je nach Ausgangssprache ins Deutsche, Französische und Englische. Zum anderen geben wir aber auch lizenzierte Übersetzungen heraus, kaufen also die Rechte für Bücher aus anderen Sprachen ein. Also ja: Auf die eine oder andere Weise ist eigentlich jedes Buch bei uns übersetzt.
Das ist sehr besonders, finde ich. Und wie wählt ihr die Übersetzerinnen oder Übersetzer aus? Arbeitet ihr immer mit den gleichen zusammen?
Nein, eigentlich nicht. Wir haben natürlich Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen wir schon sehr lange zusammenarbeiten und mit denen es einfach stimmt. Aber es ist uns auch wichtig, dass wir jungen Übersetzerinnen und Übersetzern eine Plattform geben. Ich höre häufig, dass es sehr schwierig ist, in der Branche Fuss zu fassen, und für uns – gerade auch wegen der Vielfalt, die wir repräsentieren und verkörpern – ist es wichtig, dass wir da offen sind und eigentlich jede und jeder bei uns anklopfen kann.
Ich finde es schön, dass ihr jungen Übersetzerinnen und Übersetzern gegenüber aufgeschlossen seid – sie müssen ja erst einmal irgendwo anfangen.
Bei der Auswahl von Übersetzern schauen wir zum Beispiel auch auf die Region, in der wir das Buch letztendlich verkaufen möchten. Wenn es darin etwa um die Schweiz geht und wir wissen, dass es wahrscheinlich hier verkauft wird, dann fragen wir eher eine Schweizer Übersetzerin an, weil sie sich besser auskennt: Sie bemerkt zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn im Original ein Ortsname falsch geschrieben ist. Wenn wir aber ein Kinderbuch auch in Deutschland und Österreich verkaufen möchten, arbeiten wir gern mit deutschen Übersetzerinnen oder Übersetzern zusammen, weil die Ausdrucksweise sich teilweise schon von Schweizer Übersetzerinnen unterscheidet.
Und was ist euch an der Zusammenarbeit sonst noch wichtig?
Ich finde es toll, wenn die Person, die an der Übersetzung sitzt, einen Fehler im Originaltext bemerkt und mir dann Bescheid gibt. Das ist wirklich hilfreich und ich bin dafür immer sehr dankbar, auch wenn ich es nicht unbedingt erwarte. Ich finde es auch sehr wichtig, dass die Übersetzerinnen sich die Übersetzung am Ende, vor der Druckabgabe, noch einmal anschauen und prüfen können, ob wir auch alles gut lektoriert haben. Meiner Meinung nach fördert das das Vertrauen auf beiden Seiten. Und natürlich hilft es auch, wenn man als Übersetzer zeitlich ein bisschen flexibel ist, weil im Verlagsalltag nicht immer alles so nach Plan läuft. Es kann schon einmal sein, dass jemand das Manuskript später abgibt, das Lektorat des Originals länger dauert oder sonst etwas dazwischenkommt. Aber wir versuchen auch, unsererseits den Übersetzern entgegenzukommen, wenn sie unter Zeitdruck sind. Es ist schön, wenn das auf beiden Seiten funktioniert und Übersetzerin und Verlag gut ineinandergreifen.
Wenn ihr immer mit Übersetzerinnen und Übersetzern arbeitet, dann schärft sich dadurch sicher auch das Verständnis für so ein Zusammenwirken. Und – zu meiner Kernfrage – was macht ihr, um Übersetzende sichtbar zu machen?
Uns ist zum Beispiel die Nennung auf dem Cover sehr wichtig.
Macht ihr das schon immer?
Nein, damit haben wir erst vor etwa zwei Jahren begonnen. Ich weiss gar nicht, wer mit dieser Idee kam und was der Auslöser war, aber wir haben es dann im Team besprochen und fanden, dass die zentrale Rolle, die eine Übersetzerin für unseren Verlag in einem Übersetzungsprojekt einnimmt, auch sichtbar gemacht werden soll. Abgesehen von der Nennung auf dem Cover publizieren wir auch die Biografien der Übersetzenden in unserer Verlagsvorschau und sie fliessen in die Datenbanken ein. Und wenn wir eine Veranstaltung organisieren und die Übersetzerin oder der Übersetzer in der Nähe ist, dann versuchen wir zum Beispiel, Gespräche zwischen Übersetzerin und Autor zu organisieren.
Und was denkst du, welche Argumente gäbe es dafür, Übersetzerinnen und Übersetzer noch sichtbarer zu machen?
Für uns ist der Fall klar: Wir können in der Art, wie wir sind, mit den verschiedenen Sprachen und dem vielfältigen Verlagsprogramm, nur mit Übersetzerinnen und Übersetzern funktionieren.
Ja, am Ende ist es ja auch ein Schaffensakt und nicht nur etwas Technisches. Die Übersetzerinnen und Übersetzer werden ja auch selbst zu Autorinnen und Autoren.
Ja, genau, das stimmt. Wir integrieren die Übersetzerinnen und Übersetzer deshalb zum Beispiel auch in unsere Website.
Gibt es Dinge, von denen du denkst, dass man sie noch besser machen könnte?
Meine französischsprachige Kollegin arbeitet zum Beispiel mit dem Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm für junge Literaturübersetzende zusammen und organisiert immer einen Schnuppertag bei Helvetiq, das finde ich schön. Ich könnte mir einen solchen Schnuppertag auch mit anderen Übersetzerprogrammen aus dem deutschen Sprachraum vorstellen. So könnte man noch mehr Verbindungen schaffen.
Wie schätzt du denn allgemein die Bereitschaft zur Sichtbarmachung von Übersetzenden in der Schweiz ein? Denkst du, es gibt viele Leute, die sich dagegen sperren? Oder empfindest du eher Offenheit?
Ich finde es schwierig, das einzuschätzen. Eigentlich sollte es in der Schweiz ja eine hohe Bereitschaft dazu geben, weil wir verschiedene Sprachen sprechen und diese Vielsprachigkeit für viele normal ist. Gleichzeitig gibt es nicht viele Verlage, die die Übersetzerinnen und Übersetzer zum Beispiel auf dem Cover nennen. Ich habe auch schon einmal das Argument gehört, dass Leute denken, ein Buch, das übersetzt wurde, habe nicht so viel Potenzial wie etwa ein Buch, das im Original auf Deutsch verfasst wurde. Und deswegen wollen manche Verlage nicht, dass man schon am Cover sieht, dass es sich um eine Übersetzung handelt.
Ich habe auch schon öfter das Argument gehört, dass es das Vertrauen der Käuferinnen oder Käufer in das Buch schwächt, wenn es «nur eine Übersetzung» ist. Aber ich glaube ehrlich gesagt, das ist auch oft eine Ausrede.
Ja, denn sonst fallen mir auch wirklich keine Argumente gegen die Namensnennung auf dem Cover ein. Es lassen sich auch grafisch meist gute Lösungen finden. Da kann man ja auch ein bisschen kreativ sein. Zumindest für uns muss der Name nicht immer an der gleichen Stelle stehen. Für andere Verlage scheint das nicht immer eine Option zu sein.
Ja, das ist schade, denn es zeigt ja auch Wertschätzung. Und nicht nur, den Namen aufs Cover zu setzen, sondern ihn zum Beispiel auch immer dann zu erwähnen, wenn der Autor oder die Autorin auch genannt wird. Das ist kein grosser Schritt für die Verlage.
Nein, eigentlich nicht. Für uns ist es auch im Marketing wichtig: Wenn wir zum Beispiel Flyer drucken, dann schreiben wir ebenfalls drauf, wer das Buch übersetzt hat. Ein weiteres Argument, das meiner Meinung nach vor allem heutzutage für die Nennung von Übersetzerinnen und Übersetzern spricht, ist: Es ist ein Qualitätsausweis. Denn mittlerweile kann immer mehr mit Künstlicher Intelligenz übersetzt werden. Da ist es ein Verkaufsargument, wenn eine echte Person hinter der Übersetzung steht und nicht einfach eine Maschine. In zehn Jahren wird dies wahrscheinlich sogar noch mehr der Fall sein. Ich denke also, dass es den Verlagen sogar helfen würde, Übersetzerinnen und Übersetzer sichtbarer zu machen.
Absolut, das ist ein interessanter Punkt.
Ich habe neulich einmal mit einer Kollegin drüber gesprochen, wie das in Frankreich gehandhabt wird, ob dort die Übersetzerinnen und Übersetzer auch nicht so häufig auf dem Cover genannt werden. Sie meinte, dort sei es ähnlich wie hier. Aber in Québec zum Beispiel ist der Fall scheinbar genau umgekehrt: Wenn dort etwas übersetzt wird, dann ist es umso attraktiver und wird dann auch gross publiziert.
Um den Kreis zu schliessen: Ich finde es schön, wie ihr bei Helvetiq und auch du persönlich an den Aspekt der Sichtbarkeit von Übersetzerinnen und Übersetzern herangeht. Ich glaube, dass es gerade in der vielsprachigen Schweiz ein grosses Thema ist.
Danke. Ja, für uns ist das wirklich essentiell. Wie gesagt: Ohne Übersetzer und Übersetzerinnen wäre Helvetiq nicht das, was wir jetzt sind. Das ist für uns ganz grundsätzlich.
Wie schön. Das ist ein guter Satz zum Schluss. Danke, Myriam, für das interessante Gespräch!

Myriam Sauter hat die Freude am Lektorieren am Ende ihrer Studienzeit entdeckt, als sie an einer Publikation zu islamischer Philosophie arbeitete. Nach Stationen beim Sujet Verlag in Bremen und beim Unionsverlag in Zürich ist sie bei Helvetiq gelandet, wo sie die deutschsprachigen Buchprojekte betreut. An der Verlagsarbeit gefällt ihr am meisten, dass sie jeden Tag neue Leute kennenlernt.
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Interview: Ulrike Rehberg
Porträt: Ulrike Rehberg
Foto der Buchauswahl: © Myriam Sauter